EKD-Synode beschließt Kundgebung zum Thema Mission
09. November 2011
Mit “Leidenschaft und Energie” sei über das Schwerpunktthema “Missionarische Impulse” auf der 4. Tagung der 11. Synode der EKD diskutiert worden, freut sich Kathrin Göring-Eckardt. Schon die bisherige öffentliche Resonanz habe gezeigt, dass die Frage, wie der christliche Glaube in dieser Zeit “Sprache und Gestalt” gewinnen könne, aufmerksam wahrgenommen werde, so die Präses der Synode.
In einer krisenhaften Welt voller Verunsicherung und Beschleunigung wachse die Sehnsucht nach “Zuspruch, Entlastung und Konzentration”. Deswegen gehe es um mehr als die “Bewältigung kirchlicher Mangelerscheinungen” und eine “Strategie zur Gewinnung von Mitgliedern”. Das Evangelium sei der Grund, der dazu verhelfe, Krisen anders zu sehen und anders mit ihnen umzugehen. “Heilsame Unterbrechung, Trost einer verängstigten Seele und die Überwindung von Angst” seien aber nicht nur für Christenmenschen elementar. Sie gelten auch gleichermaßen für die Gesellschaft.
Beschlossen haben die Synodalen eine Kundgebung zum Schwerpunktthema mit folgendem Wortlaut:
Kundgebung
der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 4. Tagung
Hinhören – Aufbrechen – Weitersagen
Missionarische Impulse 2011
Am Anfang aller Mission steht das Evangelium von Jesus Christus. Dieses Evangelium ist “der wahre Schatz der Kirche” (Martin Luther), den wir nie besitzen, aus dem wir als Kirche leben und den wir immer wieder neu entdecken. Mission ist begründet in Gottes barmherziger Zuwendung zur Welt und lebt von einer heilsamen Besinnung auf das, was uns in Christus geschenkt ist: die bedingungslose Gemeinschaft mit Gott.
Die EKD-Synode 1999 in Leipzig hat Impulse zum Missionsverständnis der evangelischen Kirche formuliert, die wir dankbar aufnehmen:
“Wer glaubt, kann nicht stumm bleiben. Wer glaubt, hat etwas zu erzählen von der Güte Gottes. Darum tragen wir die Bilder des Lebens, des Trostes und der Sehnsucht weiter und treten ein für die Sache Gottes – leise und behutsam, begeistert und werbend. So folgen wir dem Auftrag Jesu Christi”.
Mission “ist an der gemeinsamen Frage nach der Wahrheit orientiert, verzichtet aus dem Geist des Evangeliums und der Liebe selbst heraus auf alle massiven oder subtilen Mittel des Zwangs und zielt auf freie Zustimmung. Eine solche Mission verträgt sich mit dem Gebot der Toleranz. Sie ist geprägt vom Respekt vor den Überzeugungen der anderen und hat dialogischen Charakter.”
Heute stellen wir mit Freude fest, was in dieser Hinsicht in den zurückliegenden Jahren in unserer Kirche unter Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geschehen ist. “Mission” hat einen neuen Stellenwert bekommen; Brücken wurden gebaut zwischen Landeskirchen und missionarischen Bewegungen; Gemeinden haben sich für eine Vielfalt von Beteiligungsformen geöffnet; es fand Austausch statt zwischen Ost und West und mit ökumenischen Partnern. In der EKD sind hier exemplarisch Projekte wie “Jahr der Taufe”, “Erwachsen glauben” und “Willkommen in Gottes Welt” zu nennen.
Andererseits sehen wir, dass Menschen mit dem Glauben nichts mehr anfangen können, gegenüber dem Glauben gleichgültig sind oder der Kirche tragende Antworten auf grundlegende Fragen nicht zutrauen. Wenn wir uns heute erneut dem Thema zuwenden, so geht es dennoch nicht um die Bewältigung kirchlicher Mangelerscheinungen oder eine Strategie zur Gewinnung neuer Mitglieder – auch wenn uns die zurückgehenden Mitgliederzahlen belasten. Vielmehr geht es um eine erneute Vergewisserung darüber, was es bedeutet, sich heute in die Bewegung Gottes zum Menschen mit hineinnehmen zu lassen.
Hinhören – aufbrechen – weitersagen: Diese Schritte werden an der Geschichte von Philippus und dem Kämmerer im 8. Kapitel der Apostelgeschichte anschaulich gemacht (Apg 8, 26-39).
1. Hinhören
Philippus hört auf die Stimme Gottes – und er hört auf das, was den Kämmerer bewegt.
Christinnen und Christen leben mit dem Gesicht zum Himmel und zur Welt. Mission, die sich am Evangelium von Jesus Christus orientiert, ist wahrnehmend: Sie hört auf das, was Gottes Geist den Gemeinden sagt. Sie spürt, im Bild der EKD-Synode von Leipzig gesprochen, ihrem eigenen Herzschlag nach. Sie nimmt wahr, was Menschen sagen und was unsere Gesellschaft beschäftigt.
Das Evangelium von Jesus Christus lässt aufhorchen: Es spricht Menschen frei von Mäch-ten, Ängsten und Zwängen. Es schenkt Vertrauen auf Gott, bewegt zur Liebe zur Welt, eröffnet Hoffnung über den Tod hinaus. Leid, Schmerz und Dunklem zum Trotz vermittelt es Sinn, Ziel und Freude des Lebens. In der Botschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi begegnet Menschen ein Zuspruch, der sie getrost leben und getröstet sterben lässt. Und sie gewinnen die Gewissheit, dass Gott seine Schöpfung zu einem guten Ziel führen wird. Wem sich diese Wahrheit erschließt, der sieht die Welt und das eigene Leben mit anderen Augen: offen und klar, befreit und getrost, liebevoll und engagiert.
Im Licht des Evangeliums hören wir, was Menschen heute bewegt. Die aktuelle Diskussion um die Krise der Finanzwelt, die Schuldenproblematik in unserer Gesellschaft und die Gefährdung der Natur lösen ein Empfinden tiefer Verunsicherung aus. In einer beschleunigten Welt gibt es die Erwartung, permanent präsent und leistungsfähig sein zu müssen. Bei vielen hat sich ein Gefühl der Erschöpfung breit gemacht. Und es gibt Menschen, die in der beschleunigten Welt immer mehr am Rande stehen. Diese Erfahrungen können zu Verlust an Sinn, Flucht in Geschäftigkeit und Angst vor Veränderung führen. Zugleich wächst die Sehnsucht nach Zuspruch, Entlastung und Konzentration. Das Evangelium von Jesus Christus hilft, sich diesen Phänomenen zu stellen. Es spricht vom Trost einer verängstigten Seele und von der Überwindung der Angst in der Welt.
Die Erfahrungen von Krise, Schuld und Erschöpfung betreffen auch die Kirche. Sie sieht die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft und sie selbst stehen, aber findet oft nicht die Kraft, sich neu auszurichten. Sie steht in der Gefahr, sich und ihre Mitarbeitenden in überdehnten Strukturen und immer neuen Aufgaben zu erschöpfen. Für die Kirche ist das stete Hinhören auf die befreiende Botschaft des Evangeliums lebensnotwendig. Gegründet allein auf Christus ist sie Salz der Erde. Sie hat die Freiheit, sich ihre Strukturen selbst zu geben und sich zu verändern, damit sie dem Auftrag treu bleibt, zu dem sie von Gott berufen ist.
2. Aufbrechen
Philippus lässt sich vom Geist unterbrechen. Er bricht auf und geht hin auf die Straße, die öde ist.
Das Evangelium spricht von Gottes heilsamer Unterbrechung der Welt in Jesus Christus. Diese Botschaft zielt – immer wieder neu – auf unsere Hinwendung zu Gott. Sie umfasst den grundlegenden Sinneswandel, der sich in der Nachfolge Jesu Christi und im Hören auf sein Wort ereignet. Dazu kann die Anfechtung des glaubenden Menschen gehören, Gott nicht begreifen zu können und trotzdem weiter nach ihm zu suchen. Darin kann sich die beglückende Erfahrung einstellen, von Gott immer schon gesucht und gefunden zu sein.
Wir werden als Kirche darin glaubwürdig und anziehend, wenn wir nicht immer auf alles eine schnelle Antwort haben, sondern uns von Gott verändern lassen. Der Umkehr zu Gott entspricht ein Glaube, der Zweifel bekennt, eine Verkündigung, die sich unbequemen Fragen stellt, und eine Mission, die selbst auf dem Weg ist und lernt.
Christen und Kirche lassen sich unterbrechen durch Gottesdienst und Gebet, durch Nachdenken über den Glauben und durch die offene, lernbereite Begegnung mit anderen. Kirche wird nicht missionarischer, wenn sie “mehr” tut, sondern wenn sie ihr Tun gezielter und klarer ausrichtet. Sie kann ihre Betriebsamkeit unterbrechen, sich besinnen und sich mutig auf das konzentrieren, wozu sie von Gott berufen ist.
Gott kann nicht nur unser Tun, sondern auch unser Lassen segnen. Zum Evangelium von Jesus Christus gehört die grundlegende Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf – und mit ihr die befreiende Erkenntnis der eigenen Geschöpflichkeit und der eigenen Grenzen. Diese Erkenntnis hilft, nicht alles machen zu wollen, sondern sich auf das zu beschränken, was die eigene Aufgabe an diesem konkreten Ort und zu diesem konkreten geschichtlichen Zeitpunkt ist. Zu den zentralen Aufgaben der Kirche am Anfang des 21. Jahrhunderts gehören Konzentration und Neuorientierung auch im Loslassen. Loslassen befreit die Kirche von der Sorge um sich selbst und öffnet den Blick für andere. Die Fähigkeit der Kirche zu mutiger Selbstveränderung und Selbstbegrenzung ist ein Glaubenszeugnis an andere. Kirchliche Reformen lassen sich verstehen als Geschichte geistlicher Einkehr und inneren Aufbruchs.
Weitergeben kann nur wer empfängt. In einem alten Bild hat Bernhard von Clairvaux dies so ausgedrückt: “Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter … Wir haben heutzutage viele Kanäle in der Kirche, aber sehr wenige Schalen. Diejenigen, durch die uns die himmlischen Ströme zufließen, haben eine so große Liebe, dass sie lieber ausgießen, als dass ihnen eingegossen wird, dass sie lieber sprechen als hören.”
Philippus bricht erneut auf – zum Fremden. Er läuft neben dessen Wagen her und begibt sich mit ihm auf den Weg.
Das Evangelium von Jesus Christus überschreitet Grenzen und befreit zur offenen Begeg-nung mit anderen: mit Menschen anderer Herkunft, Kultur, Religion. Das Evangelium ist nicht Besitz der Kirche, sondern ihr Gegenüber. Dies hilft zu unterscheiden zwischen der Gewissheit der Verheißung Gottes und der Begrenztheit aller menschlichen Erkenntnis.
Zwischen Christinnen und Christen weltweit stiftet der Glaube an Christus ein Band tiefer, geschwisterlicher Verbundenheit in Gott bei bleibender konfessioneller Unterschiedenheit. Die Begegnung mit Glaubensgeschwistern anderer Konfessionen und Länder öffnet den Blick für die eigene Situation. Das Bezeugen des eigenen Glaubens gehört zusammen mit dem Eintreten für das Recht der anderen auf ihr religiöses Bekenntnis. Kreative Lernfähigkeit gehört zu Ökumene und interreligiösem Dialog ebenso wie zur Mission der evangelischen Kirche.
Die innere Einkehr öffnet die Kirche zu neuem Handeln in der Welt. Sie ist politisch und en-gagiert – und das pointiert und konzentriert. In der Nachfolge Jesu Christi sind die Liebe zu Gott, die Liebe zum Mitmenschen und die Liebe zur Schöpfung nicht voneinander zu trennen. Die Freiheit, die Gott in Christus schenkt, ist Freiheit zum Dienst am Mitmenschen und an der Welt. Zu den vornehmsten Früchten christlichen Glaubens gehören daher Freude, Kraft und Wille zur Gestaltung der einen gottgegebenen Welt.
3. Weitersagen
Philippus fragt nach und lässt sich fragen. Christliches Zeugnis braucht eine dialogische Haltung. In biblischer Perspektive erschließt sich Wahrheit in der Begegnung. Sie verändert beide Dialogpartner, setzt Sprachfähigkeit im Glauben voraus und stärkt sie zugleich. Christinnen und Christen fragen Menschen nach dem, was sie trägt, und lassen sich selbst fragen. Gelingende Mission ist gemeinsames Entdecken von unverfügbaren Gottesüberraschungen, zu denen Gottes Geist uns führt. So nehmen wir teil an dem unaufhörlichen Dialog Gottes mit seiner Welt.
Wir können als Christen nicht schweigen von dem, was sich uns als wahr erschlossen hat: die Zuwendung Gottes in Jesus Christus zu allen Menschen. “Wo der Glaube ganz unter die Bank gesteckt worden ist, erkennt niemand Christus als Herrn …” (Martin Luther). Mission, die sich am Evangelium von Jesus Christus orientiert, ist fröhlich und zugewandt, kommunikativ und frei. Sie bringt sich kritisch ein in die gesellschaftliche Gestaltung von Kultur, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Lebensstil.
Dabei ist das Zentrum der befreienden Botschaft des Evangeliums das anstößige Wort von Kreuz und Auferstehung: Es redet von Sünde, Scheitern und Neuanfang. Wir bleiben den Menschen etwas schuldig, wenn wir ihnen diese Botschaft verschweigen.
Mission widerstreitet allen Kräften, die menschliches Leben verzwecken, verflachen oder veräußerlichen. Und sie widerspricht in Verkündigung und Bildung allen Ideologien, die weltliche Dinge überhöhen und Menschen deren Herrschaft unterwerfen. Sie bringt die Gottesbeziehung als grundlegende Dimension des Menschseins zur Sprache. Die Besinnung auf Gott wahrt Weite, Schönheit und Geheimnis des Lebens.
Der Kämmerer fragt: Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und Philippus tauft ihn.
Weitersagen erschöpft sich nicht im Reden über den Glauben. Das Evangelium wird in Wort und Sakrament zugesprochen: Die Taufe braucht den Glauben – der Glaube braucht die Taufe. Immer mehr Menschen nehmen dankbar die Möglichkeit wahr, sich in Tauferinnerungen vergewissern und in Segnungen berühren zu lassen.
Der Kämmerer zieht seine Straße fröhlich. Menschen, denen sich das Evangelium von Jesus Christus erschlossen hat, sind im Glauben befreit und durch die Taufe in die christliche Gemeinschaft hineingenommen. Sie können von dieser tiefen Lebensfreude nicht schweigen. Als Synode der EKD bestärken wir alle Christinnen und Christen, zum Heil der Menschen und zum Wohl der Welt von dieser Botschaft zu zeugen: im Hinhören – Aufbrechen – Weitersagen.
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Apostelgeschichte 8, 26-39
Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8):
“Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.”
Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach:
Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.
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