Die Deutsche Evangelische Kirche in Kairo feiert 100. Geburtstag
20. April 2012
Mit einem weichen Lappen poliert Andrea Busse die Ornamente der schweren Kirchentür. “Lange wird es wohl nicht dauern, bis der Staub wieder da ist, aber erst einmal sieht es doch schön aus, oder?” Die Pfarrerin mit dem blonden Pferdeschwanz nickt zufrieden. Im Inneren wird die Kirche gestrichen, und von der Empore sind Hammerschläge zu hören. Letzte Vorbereitungen für den großen Tag. Die Deutsche Evangelische Kirche in Kairo wird am 21. April 100 Jahre alt, und das will die Gemeinde groß feiern. Altbischof Wolfgang Huber reist dafür von Deutschland an den Nil, um die Festansprache zu halten.
Die Kirche liegt an einer der lautesten und staubigsten Kreuzungen von Kairo. Auf der Straße stehen Minibusse hupend im Stau. Fisch- und Spielzeughändler bieten ihre Waren an und oben drüber, auf der Höhe der Kirchturmspitze, brausen Autos auf einer Hochstraße vorbei.
Unweit von hier, am Tahrir-Platz, steht immer noch das Protestcamp der Demonstranten. “Es ist immer Überwindung, durch den Verkehr hierher zu kommen”, sagt Pastorin Busse: “Doch wenn man die Kirche betritt, wird man belohnt”.
Tatsächlich, sobald die schwere Tür ins Schloss gefallen ist, rücken die Geräusche der Stadt in weite Ferne. Die Kirche mit ihrem schlichten, fast quadratischen Kirchenschiff strahlt Ruhe aus. “Diese Gelassenheit findet man selten in einer Megastadt wie Kairo”, sagt Busse.
Von der Empore klingt jetzt die Orgel herunter. Der saarländische Orgelbauer Gerhard Walcker schlägt die Tasten an. “Mein Urgroßvater hat diese Orgel damals hier eingebaut, und ich habe sie im vergangenen Jahr wieder spielbar gemacht”. Die Orgel ist wie die Kirche etwas ganz Besonderes: “Es ist eine romantische Orgel. Solche weicher klingenden Instrumente wurden nur in einer kurzen Periode gebaut”, erklärt er und lässt die Streicher-Pfeifen im linken Teil der Orgel sanft erklingen. Zum Geburtstag der Kirche soll auch die Orgel mit einem feierlichen Konzert wiedereingeweiht werden.
Die Kirche von Kairo stammt aus einer Zeit, als Deutschland noch plante, Großmacht zu werden. Die Altarbibel hatte die Kaiserin mit eigenhändiger Widmung versehen, heißt es in der Chronik über den Tag der Eröffnung, “Kirche und Vorplatz waren mit Girlanden, Blumen und Fahnen festlich geschmückt”.
Die evangelische Gemeinde von Kairo war 1864 gegründet worden und ist dann schnell gewachsen. Vor 100 Jahren lebten 1.842 Deutsche in Kairo. “Sie spielten im Leben der Stadt eine große Rolle, da sie wichtige Funktionen in der Verwaltung und als Hoteliers innehatten”, sagt Angelika Marks. Sie hat gemeinsam mit der Archäologin Gisela Fock die Gemeindearchive studiert und die Chronik der Kirche verfasst.
“Die Gemeinde war damals reich und konnte sich deswegen diese prächtige Kirche leisten”, sagt Marks. Und es war nicht irgendeine Kirche: “Es wurde natürlich ein deutscher Architekt beauftragt, denn es ging auch darum, deutsche Identität zu zeigen”. Statt des in Berlin damals überwiegenden neugotischen Stils entstand aber eine spätklassizistische Kirche mit Jugendstilelementen. Dies und die Wahl des Standortes löste damals in der Gemeinde heftigen Streit aus.
“Das erworbene Terrain liegt in Boulak, einem der verrufensten und schmutzigsten Araberviertel der Stadt”, hieß es damals in einem Flugblatt gegen den Kirchbau. Und weiter: “Das Gelände liegt am Ismaelia-Kanal, der von der einheimischen Bevölkerung zum Waschen und Baden benutzt wird. Wegen mangelnder Beaufsichtigung treiben Katzen- und Tierkadaver im Kanal”.
Damals lag die Kirche am Rande der modernen Stadt, heute ist sie mittendrin. Da, wo damals der Kanal floss, verläuft heute eine Straße. Allerdings wohnen nur noch wenige der 130 Gemeindemitglieder in der Innenstadt. Die meisten leben in ruhigeren Vierteln oder am Stadtrand, und für die ist der Weg zur Kirche weit und beschwerlich.
“Es ist eine ganz besondere Gemeinde”, sagt Axel Matyba, der sich mit seiner Frau Andrea Busse die Pfarrstelle teilt. Viele Gemeindemitglieder seien im mittleren Alter und hätten kleine Kinder. “Sie kommen für einige Jahre nach Kairo und gehen dann wieder”, beschreibt er. Hinzu kommen Frauen, die mit Ägyptern verheiratet sind und die über die Gemeinde ein bisschen Heimatanschluss suchen.
“Das Besondere ist auch, dass viele von unseren Gemeindemitgliedern erst hier in Ägypten zur Kirche gefunden haben”, sagt Busse. Ägypten sei ein sehr religiöses Land, das färbe ab. “Bei vielen sind es zunächst die Fragen ihrer Kinder”, sagt sie, “die Kinder sehen, wie die Muslime fünf Mal am Tag beten und sie wollen wissen, wie eigentlich Christen beten”.
Um es der Gemeinde einfacher zu machen, kommen die Pfarrer ihr oft entgegen. So wird der Gottesdienst nur ab und zu in der Kirche gefeiert – und immer öfter im Garten einer Familie, die am Stadtrand wohnt oder sogar in einem Tal in der Wüste.
(epd)